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 Die Verhaltenssteuerung des Menschen

Grundzüge der Verhaltenssteuerung des Menschen durch angeborene körperinterne und gesellschaftlich festgelegte körperexterne Sollwerte

Dr.Thomas Gabbert

1. Die bewusste Bewegung, Handlung oder Tat

Die psychosomatischen Medizin betrachtet den Menschen als lebendes System, das biologisch, psychisch und soziologisch beschreibbar ist (das sogenannte bio-psycho-soziale Modell der psychosomatischen Medizin von Uexkülls1). Entsprechend dieses Konzepts werde ich diese drei Gesichtspunkte konkretisieren und lege dazu den Regelkreis, bestehend aus einem rezeptorischen und dem effektorischen Schenkel zugrunde. Ich betone dabei die Rolle hormoneller Umstellungen aufgrund genetisch programmierter Sollwerteinstellung als biologische Basis, die bewusst erlebbare Phänomene als deren psychischen Repräsentanzen erzeugt. Das Ich hat im Sinne Freuds (Freud2 1923) lediglich Entscheidungsfunktion.

Ich beginne bei der Handlung, also dem effektorischen Teil des Regelkreises. Lebende Systeme können sich aktiv in alle Richtungen bewegen, also in unendlich viele Richtungen in 3 Dimensionen (vorn/hinten, links/rechts, oben/unten). Eingeschränkt werden diese Möglichkeiten lediglich durch ihre Bewegungsorgane. Außerdem können sie ohne eine Fortbewegung einzelne Extremitäten und Ausdrucksorgane (z.B. der Menschen sein Gesicht) bewegen. Der Mensch ist in der Lage, diese nach außen sichtbaren Bewegungen bewusst zu initiieren oder zu unterdrücken. Er benutzt sie auch zur Kommunikation (Mimik, Gestik). Mehr kann er nicht bewusst, selbst Mimik und Gestik erfolgen weitgehend unbewusst. Der gesunde Mensch kann zwar über eine Fortbewegung vom Ausgangspunkt A nach Punkt B bestimmen, also bewusst entscheiden, wohin er sich bewegen möchte. Ausgeführt wird die Bewegung jedoch von seinen Muskelzellen, deren Tätigkeit durch das zentrale Nervensystem unbewusst gesteuert wird. Das periphere Nervensystem transportiert die Steuersignale an die Muskulatur, die die Entscheidung mit Hilfe der Knochen als Stützelemente und Sehnen als Verbindungsstücke von den Muskeln zu den Knochen ausführt. Die Übertragung der Steuersignale erfolgt nun nicht direkt vom Gehirn an die Muskelzellen, sondern es erfolgt mindestens eine Umschaltung im Rückenmark, das noch zum Zentralnervensystem gerechnet wird, in die periphere Nervenzelle, die den Steuerbefehl an die Muskulatur überträgt. Diese Umschaltstelle liegt im sogenannten motorischen Vorderhorn des Rückenmarkquerschnitts, weshalb die letztlich signalleitende periphere Nervenzelle auch die alphamotorische Vorderhornzelle genannt wird. Namen sind jedoch gleichgültig und austauschbar. Entscheidend ist jedoch, dass bewusste Bewegungsentscheidungen von der Hirnrinde über die sogenannte Pyramidenbahn bis an diese Stelle der Übertragung des Nervenimpulses an die periphere Nervenzelle gegeben werden können und daher auch eine bewusste Hemmung möglich ist. Das ist der biologische Hintergrund der juristischen Figur der Handlungsfreiheit.

Bevor jedoch ein Steuersignal an diese periphere Nervenzelle weitergegeben wird, die zur Bewegung einer Muskelzelle führt, finden innerhalb des Zentralnervensystems komplizierte Verarbeitungsprozesse von Reizen statt, die dann letztlich in einem Befehl an die quergestreifte Muskulatur gipfeln. Dieser Befehl betrifft dann allerdings auch nicht nur eine Nervenzelle und eine Muskelzelle, sondern ganze Bündel von agonistisch und antagonistisch organisierten Muskelpartien. An jedem Gelenk greifen Muskelgruppen an, die dieses Gelenk beugen können (= agonistische Muskelgruppen) und solche, die dieses Gelenk strecken können (antagonistische Muskeln). Die Grundstellung eines Gelenks entspricht einem bestimmten Tonus der agonistischen und antagonistischen Muskeln (= Beuger und Strecker). Wird das Gelenk weiter gebeugt, ist einerseits eine Kontraktion (= Anspannung) der Beuger, andererseits eine Entspannung der Strecker erforderlich. Diese Koordination wird unbewusst gesteuert und getätigt. Ist ein bestimmtes Hirnareal beispielsweise durch die Gewalteinwirkung gegen ein hilfloses Opfer, dem der Schädel eingetreten wurde, geschädigt, so kann das Opfer, falls es überlebt, die Muskulatur, die durch dieses Areal der Hirnrinde bewusst gesteuert wird, nicht mehr bewusst bewegen. Da die peripheren Nerven jedoch intakt sind und Agonisten sowie Antagonisten vom Rückenmark aus innerviert werden, wird durch diese gegensätzlich gleichzeitig stattfindende Innervation der Muskeln die entsprechende Extremität (Arm oder Bein) im Lauf der Zeit immer starrer, bis sie schließlich gar nicht mehr bewegt werden kann. Mir sind einige dieser Fälle bekannt und es ist für mich unerträglich, dass die Strafgerichte derartige Täter, deren Aktionen auch leicht zum Tode des Opfers hätten führen können, keine Tötungsabsicht unterstellt und diese geringfügig bestraft, anstatt ihnen wenigstens zusätzlich für die restliche Lebenszeit des Opfers die Finanzierung dessen Lebensunterhalts aufzuerlegen. Derartige Opfer sind oft nicht mehr in der Lage, eine körperliche Arbeit aufzunehmen (und irgendwelche Anträge zu stellen) und fallen dadurch der Allgemeinheit zur Last, die nun nicht nur die Maßnahmen zur Eingliederung der Täter zu finanzieren hat, sondern auch die Alimentierung der dahinsiechenden Opfer und deren medizinischer Versorgung. Die Täter hingegen können in der Regel ihren kriminellen Aktivitäten weiterhin nachgehen und sich ihren Lebensunterhalt verdienen.

Die Extremitäten des Menschen sind entwicklungsgeschichtlich auch seine ersten Waffen. Und es gibt selbst in unserer Gesellschaft immer noch einige Individuen, die ihre Möglichkeit zum bewussten Einsatz beispielsweise ihrer Beine und Füße nicht nur zur Fortbewegung nutzen, sondern auch dazu, einen Mitmenschen zu Tode oder zum geistigen Krüppel zu treten.

2. Die bewusste Handlung

Es stellt sich die Frage, welche Ursachen zur Ausführung einer Bewegung oder Aktion oder Tat oder einer Handlung, die ein ganzes Bündel von Bewegungen zusammenfasst, führen. Diese Ursachen werden in der Psychologie Motive genannt. In der Biologie gibt es keine eineindeutige Beziehung zwischen Ursache und Wirkung wie bei der Bewegung nichtlebender Systeme, die man in linearen Funktionen beschreiben kann, sondern für eine Handlung oder Tat kommen mehrere Ursachen in Betracht, der Mensch kann mit einer Handlung auch gleichzeitig mehrere Absichten verfolgen. Es gibt also neben dem Begriff der Motivation auch den Begriff der Absicht, der eine eher bewusste Entscheidung beschreibt und eher unterstellt, es gäbe nur wenige oder eine Absicht, die mit einer Tat in Handlung umgesetzt wird. Ich ziehe es vor, nicht von Absichten oder Motiven zu sprechen, Begriffe sind sowieso nebensächlich, sondern ich benutze hier den Begriff der "Animation" zur Beschreibung körperinterner Vorgänge, die einer Handlung vorausgehen. Eine menschliche Tat erfolgt nämlich nicht aus dem Nichts heraus, sondern sie ist eine Aktion innerhalb von Regelkreisen. Eine menschliche Handlung ist jedoch oft in mehrere Regelkreise eingebettet und kann daher auch mehrere Bedeutungen haben. Umgangssprachlich wird hier vom Sinn einer Handlung oder Tat gesprochen. Der Begriff "Sinn" enthält jedoch eine positive Wertung im Gegensatz zur "unsinnigen" Tat. Eine menschliche Handlung ist jedoch nicht sinnig oder unsinnig, sondern sie hat, neutral betrachtet, Bedeutungen. Das öffnet den Zugang zu der Frage, welche Bedeutungen eine konkrete Handlung hat. Sehr wenige Taten haben nur eine Bedeutung, in der Regel hat eine Tat oder eine menschliche Handlung mehrere Bedeutungen, denn sie kann in mehreren Zusammenhängen, innerhalb mehrerer Regelkreise, stattfinden.

3. Die genetisch festgelegten Sollwerte menschlichen Handelns

Ein Regelkreis übt innerhalb eines Individuums einen Bewegungsimpuls aus, eine Kraft, die in Richtung Schließung des Regelkreises drängt (auch "Antrieb", s.u.). Diesen Impuls nenne ich "Animation", weil in diesem Stadium noch keine von außen sichtbare Kraftentfaltung zu beobachten ist. Der Impuls ist lediglich im Körper erlebbar. Der Regelkreis animiert das Individuum, etwas bestimmtes zu tun, aber das Individuum hat die Möglichkeit, dieser Animation zu folgen oder es nicht zu tun.

Biologische Regelkreise haben einerseits das Ziel, das Überleben des Individuums zu sichern. Es gibt eine zweite Gruppe von "Regelkreisen", die in Richtung Lusterleben oder Unlustvermeidung des Systems wirken (s.u.). Dabei handelt es sich um positive Rückkopplungen (positives "Feedback"), also Rückkopplungen, die zu Verstärkung eines Verhaltens führen. Ein Verhalten besteht aus einer zeitlich längerfristigen Handlungskette. Diese Rückkopplungen erörtere ich weiter unten. Zunächst gehe ich auf die Regelkreise mit negativer Rückkopplung ein. Beispielsweise ist die Nahrungsaufnahme ein Verhalten (den effektorischer Schenkel) innerhalb eines Regelkreises, der die Glucosekonzentration im Blut reguliert. Dieser Regelkreises hat auch einen rezeptorischen Schenkel und einen informationsverarbeitenden Zentralteil. Der rezeptorische Teil besteht in diesem Fall aus zwei Ästen. Ein sensorischer Ast kommt aus dem Körperinneren und übermittelt dem Zentralnervensystem einen Glucosekonzentrationswert. Dieser wird vom ZNS mit dem Sollwert für Glucose verglichen und beispielsweise eine erhebliche Abweichung nach unten festgestellt. Ein weiterer sensorischer Teil übermittelt dem Zentralnervensystem Informationen aus der Umwelt, in diesem Fall über den Aufenthaltsort eines Apfels (am Baum, in der Obstschale, im Supermarkt usw.). Die Handlung, das Ergreifen des Apfels und die Aufnahme seiner Energieträger (Glucose) in den Körper würde den Regelkreis schließen, das heißt zur Vermehrung der körperinternen Energie führen, also zur Angleichung des Istwertes an den Sollwert von Glucose. Das Individuum kann sich aber anders entscheiden, zunächst beispielsweise eine Arbeit zu Ende zu bringen oder eine Limode zu trinken, weil diese gut gekühlt im Kühlschrank steht, usw.. Der Außenreiz übt also zusammen mit der Information über den Zuckerspiegel (Glucose ist ein Einfachzucker) im Körper einen Reiz zu einer Handlung aus, deren Ergebnis die Angleichung eines Istwerts an einen Sollwert wäre. Aber es handelt sich lediglich um einen Reiz, den ich oben als "Animation" bezeichnet habe. Beispiel für andere Regelkreise, die das Überleben sichern, sind die Reflexe, mit denen auch der Mensch biologisch ausgestattet ist. Der Saugreflex und der Greifreflex sind die besten Beispiele, die wohl jeder kennt. Diese Reflexe werden später im Leben durch Entscheidungen überlagert, die aus der Hirnrinde kommen. Norbert Elias3 hat in seiner Zivilisationstheorie darauf hingewiesen, dass der Begriff der Höflichkeit und die Tischsitten daher rühren, dass Reflexverhalten unterdrückt wird und durch gesellschaftliche Regeln ersetzt werden. Reflexe jedoch, die gar nicht bis zum Zentralnervensystem gelangen, können auch nicht oder nur mit Gewalt unterdrückt werden. So zieht der Mensch seine Hand aus der Flamme zurück, noch ehe das Schmerzgefühl zu Bewusstsein tritt, also im Zentralnervensystem ankommt, weil der Reflex bereits im Rückenmark in motorische Reaktion umgeschaltet wird.

Bereits die Zelle, die kleinste Einheit des Lebens, ist zu reflexartigem Verhalten, zu Reaktion, fähig. So bildet die Hautzelle des Menschen bei Sonneneinstrahlung Melanin, so dass eine Bräunung beobachtet werden kann, ohne dass der Mensch einen bewussten Befehl zum Braunwerden erteilen muss. Im Grunde hat jede Körperzelle ein genetisch gespeichertes Wissen um ihre Aufgabe und erledigt diese ohne irgendwelche bewussten Anweisungen oder Aufträge des Zentralnervensystems. Die quergestreifte Muskulatur ist wohl das einzige Organ des Menschen, das bewussten Befehlen gehorcht.

Das Ziel derartiger Regelkreise ist das Überleben des Individuums.

Derartige Regelkreise haben jedoch für sich selbstverständlich keine derartige Zielvorstellung, sondern die Definition dieses Ziels kommt aus der Perspektive des Betrachters. Versuchen wir, das Ziel aus der Sicht des Körpers zu definieren, kommen wir zu einem ganz anderen "Ziel". Das Ziel ist nämlich aus der Innensicht die Aufrechterhaltung eines Sollwertes. Dabei kann es sich um die Aufrechterhaltung einer Glucosekonzentration handeln oder um eine Sauerstoffkonzentration, die vorhanden sein muss, damit das System überlebt. Oder es ist die Vermeidung eines Schadens, also ein Schutzreflex (Angstreflex), der Handlungen auslöst, die die weitere Schädigung vermeiden. Das Individuum oder ein Teil dessen begibt sich in Sicherheit, aus der Gefahrenzone heraus. Der Beobachter ist geneigt, das Ziel aus der von ihm beobachteten Handlung zu schließen. Das biologisch definierte Ziel ist jedoch die Aufrechterhaltung eines konstanten inneren Milieus innerhalb des lebenden Systems, die Aufrechterhaltung der Homöostase (ein Begriff des Physiologen Walter Cannon: The Wisdom of the Body, 1932). Die Eigenschaft "Leben" und die Handlungen des lebenden Systems dienen lediglich dem Zweck, diese Homöostase aufrecht zu erhalten. Der Zustand "Leben" ist ein Nebeneffekt dieses Ziels. Deshalb ist aus der inneren Sicht des lebenden Systems die Auffassung der Evolutionstheoretiker (z.B. Darwin4) falsch, dass sich Leben an die Umwelt anpasst. Die Aktivität der Zelle und jedes anderen lebenden Systems ist auf die Konstanz seines inneren Milieus gerichtet und darauf, die Informationen, die zur Erreichung dieses Ziel nötig sind, zu erhalten. Deshalb wird der Datenträger dieser Informationen, das Chromosom, kopiert, was zur Vermehrung der Datenträger und damit zur Vermehrung der Individuen führt. Das gelingt jedoch nicht immer perfekt, so dass die Nachkommen Unterschiedlichkeiten aufweisen. Die Selektion ist keine Anpassung der Individuen an eine Umwelt mit ihren Änderungen, sondern eine Aktion der Umwelt. Die nichtlebende Umwelt verunmöglicht die Aufrechterhaltung der Homöostase oder die Vermehrung bisweilen, oder aber andere lebende Systeme nutzen die biologischen Moleküle (Aminosäuren, Fettsäuren, Glucose) als Grundbausteine zur Aufrechterhaltung ihrer materiellen Struktur und ihres inneren Milieus, d.h. das lebende System wird von anderen als Nahrung benutzt. Oder das lebende System unterliegt in der Konkurrenz um seine Nahrungsquellen.

4. Die bewussten Repräsentanzen der Regelkreise des Menschen

Sigmund Freud5 hat den passenden Begriff der psychischen "Repräsentanz" eingeführt, den ich von ihm übernehme. Er bezog ihn auf den Sexualtrieb, der psychischer Repräsentant der aus dem Körperinneren stammenden Reize sei (Freud 1975, 85). Ich beziehe ihn auf alle bewusst erlebten Wahrnehmungen von Außenvorgängen einerseits und andererseits Gefühlen von inneren Vorgängen, also auf alles bewusste Erleben körperlicher Vorgänge des Menschen.

In diesem Sinn ist die optische Wahrnehmung des Baums, vor dem ich stehe, die psychische Repräsentanz des objektiv vorhandenen Baums. Das Bild, das ich sehe, ist die psychische Repräsentanz des objektiv außerhalb meines Körpers vorhandenen Objekts, von dem ich nichts anderes kenne als seine Repräsentanzen (optisch, olfaktorisch, taktil usw.) in meiner Psyche. Kant6 nannte das die empirische Realität. Meine Sinnesorgane wandeln also den Kontakt mit Außenobjekten in elektro-chemisch transportierte Signale um, die vom Hirn in Bilder bzw. Filme übertragen werden, wenn der Außenreiz vom Auge wahrgenommen wird; wird er von der Haut wahrgenommen, werden die elektrochemischen Signale vom Hirn in Berührungsempfindungen übertragen, kommen die elektro-chemischen Nervenimpulse es aus der Nase, erfolgt eine Übertragung in Geruchswahrnehmung. Wahrnehmungen sind also psychische Repräsentanzen bestimmter Eigenschaften der Objekte außerhalb meiner Körpers, die von den Sinnesorganen erfasst werden können. Derartige Signale aus den Sinnesorganen werden jedoch nicht nur an die Großhirnrinde übertragen, sondern auch in andere Hirnteile übermittelt. In diesen Hirnteilen landen auch Signale aus dem Körperinneren, die von Rezeptoren, die biochemische Veränderungen des Blutes messen, ebenso elektro-chemisch über Nervenzellen weitergeleitet werden. Bei der Verrechnung von Außensignalen und Innensignalen spielt der Thalamus eine wesentliche Rolle, also eine Hirnstruktur, die dem limbischen System zugerechnet wird, die Substanzen an die Hypophyse abgibt, die die Ausschüttung von Hormonen stimulieren (sogenannte Releasingfaktoren). In dieser Hirnstruktur landen zunächst alle ins Hirn eintreffenden Signale von außen und innen und werden spätestens dort umgeschaltet, bevor sie in die Großhirnrinde weitergeleitet werden. Bei der Umrechnung dieser Signale aus dem Körperinneren und der Umwelt wird die Informationsmenge übrigens sehr stark reduziert, sie wird um mehrere Zehnerpotenzen verringert. Sie wird also von niederen Hirnteilen, deren Tätigkeit unbewusst erfolgt, verrechnet und gefiltert, bevor sie an die Großhirnrinde weitergeleitet wird und dort in Wahrnehmungen (optisch, akustisch, olfaktorisch, taktil usw.) umgewandelt wird. Die niederen Hirnanteile, beispielsweise der Thalamus, reduziert jedoch nicht nur Nervensignale und leitet diese weiter, sondern er (und andere Strukturen des limbischen Systems) produziert auch Releasingfaktoren und steuert mit diesen die Hormonproduktion und Hormonausschüttung der sogenannten endokrinen Drüsen. Diese regulieren den Blutdruck und andere vegetative Funktionen (z.B. die Sexualfunktionen), die keiner willentlichen Kontrolle unterworfen sind. Die Hormone (hormao = ich treibe an) entfalten im Körper vielfältige Wirkungen. Sie treiben den Körper zu Aktionen, die der Mensch allerdings hinsichtlich seiner quergestreiften Muskulatur unterdrücken kann (s. Kapitel 1).

Stellen wir uns also noch einmal einen menschlichen Regelkreis ausgehend von Wahrnehmungen vor, also beginnend beim rezeptorischen Schenkel des Regelkreises. 

Wir sehen dann Veränderungen im Inneren und Äußeren des Menschen, die Veränderungen in Innen- und Außenrezeptoren auslösen. Diese werden elektro-chemisch über Nervenleitungen an unbewusst (oder "autonom") arbeitende Teile des Zentralnervensystems weitergeleitet. Diese vergleichen u.a. Istwerte über die Zusammensetzung von Körpersäften (Blut) mit den Sollwerten und reagieren mit Änderungen von Hormonkonzentrationen.
Die resultierenden körperlichen hormonellen Veränderungen haben nun jedoch auch psychische Repräsentanzen. Die Differenz von Istwert und Sollwert von Glucose im Blut führt nicht nur reflektorisch zu bestimmten Maßnahmen, die unbewusst ablaufen, wie dem Abbau von Stärke oder dem Umbau von Fett in Glucose und der damit verbundenen zur Erhöhung des Blutzuckerspiegels, so dass den Körperzellen ausreichend Energie zur Verfügung gestellt wird, sondern sie führen auch zum Erleben von Gefühlen, zu Veränderungen der Aufmerksamkeit und zur Anregung von Gedächtnisleistungen. Das Hungergefühl (und andere Gefühle) ist die psychische Repräsentanz der körperlichen Veränderungen, die durch die Differenz von Istwert und Sollwert ausgelöst werden. Diese körperlichen Veränderungen regen bestimmte Überlegungen an: wie komme ich zu etwas Eßbarem? Sie verändern die Ausrichtung der Wahrnehmung (die Aufmerksamkeit): ich beginne, gezielt nach Nahrung Ausschau zu halten.

Der Regelkreis kann auch durch Wahrnehmungen angeregt werden, die von außen kommen: ich sehe und rieche ein Steak und bekomme Appetit. Ich sehe ein Sexualobjekt und das regt mein sexuelles Begehren an usw..

Derartige innere Anregungen (auch Antriebe genannt) sind Folge von hormonellen Veränderungen, die durch Außenwahrnehmungen ausgelöst werden.

Hormonelle Veränderungen entfalten
a) körperliche Wirkungen, sie führen einerseits zu Impulsen, Trieben, Antrieben, haben also Wirkungen auf die Motorik, andererseits wirken sie
b) auf das Gefühlsleben. Gefühle, bestimmte angeregte Gedanken und Überlegungen und bestimmte motorische Bereitschaften sind psychische Repräsentanzen von hormonellen Veränderungen.

Den Gesamtvorgang könnte man in Anlehnung an die Terminologie des Psychoanalytikers Harald Schultz-Hencke7 auch als ein vollständiges Antrieberleben bezeichnen. Schultz-Hencke rechnete auch die gegenteiligen, antagonistischen Vorstellungen und Impulse zu diesem vollständigen Antriebserleben.

Die Handlung des Gesamtkörpers als effektorischer Teil des Regelkreises schließt den Regelkreis mit negativer Rückkopplung. Es wird Nahrung einverleibt und der Regelkreis dadurch geschlossen, dass sich ein Istwert an seinen Sollwert angleicht.

Das Ziel der Handlung liegt also nicht in der Tätigkeit des Essens oder Nahrungsbeschaffung, sondern das Ziel derartiger Regelkreise liegt in der Angleichung des Istwerts an seinen Sollwert. Es liegt also im Inneren des Körpers.

Der Mensch hat nun aber eine Zentralinstanz, die nicht nur unbewusst gesteuerte (automatische) Handlungen unterdrücken kann, wenn diese die quergestreifte Muskulatur benötigen, sondern der Mensch kann und muss sich auch bewusst für eine Tat entscheiden, wenn gleichzeitig mehrere Möglichkeiten zur Schließung eines Regelkreises bestehen oder wenn gleichzeitig zwei unterschiedliche Regelkreise zu ihrer Schließung animieren. Mehrere Möglichkeiten liegen zum Beispiel hinsichtlich des Regelkreises zur Angleichung des Glucoseistwerts an den Sollwert dann vor, wenn sich im Kühlschrank mehrere geeignete Objekte befinden, mit denen der Hunger gestillt werden kann. Diese Zentralinstanz, die Entscheidungen trifft, nenne ich in Anlehnung an Sigmund Freuds Terminolgie das ICH.

Das Körperinnere des Individuums ist somit der Schauplatz für konkurrierende Animationen, die in Antrieben, in Impulsen, in durch Außenwahrnehmung (Werbung) angeregten Wünschen usw. bestehen. Die biochemisch-hormonellen Veränderungen sind die materiell fassbare Seite derartiger Animationen, deren psychische Seite durch Gefühle (z.B. Hunger), Wahrnehmungen (z.B. Apfel), Gedanken, Überlegungen, Erinnerungen und motorischen Bereitschaften (Handlungsimpulse) und Ideen über mögliche Handlungen repräsentiert werden. Diese körperlich-materiellen Vorgänge, die das Individuum zu Handlungen animieren, können dem "Es" zugerechnet werden, einer von Sigmund Freud postulierten psychischen Instanz, deren Bezeichnung allerdings von Georg Groddeck8 stammt.

Der Vermittler zwischen den biologischen Bedürfnissen, die durch Abweichungen von Istwerten zu ihren Sollwerten oder durch äußere Reize angeregt werden, und den psychischen Repräsentanzen ist die Veränderung des chemischen Milieus im Körperinneren, die an Änderungen von Hormonkonzentrationen gemessen werden können. Diese materiellen Veränderungen rufen psychische Repräsentanzen hervor, erzeugen psychische Phänomene, wie Änderungen der Aufmerksamkeit, so dass die Wahrnehmung auf bestimmten Objekte gerichtet wird, sie regen Erinnerungen an und bewirken Antriebe, die sich subjektiv in Wünschen bemerkbar machen. Diese bewusst erlebten Änderungen sind die psychischen Repräsentanzen hormoneller Konzentrationsverschiebungen. Diese hormonellen Körperumstellungen als Zwischenglied von Regelkreisen waren Freud und den frühen Psychoanalytikern noch nicht bekannt, die lediglich mit dem psychisch greifbaren Phänomen des "Triebes" arbeiteten. Die Erforschung der Hormonwirkungen liefert der psychoanalytischen Theorie einen materiellen Hintergrund, der leider vom psychoanalytischen Mainstream immer noch verleugnet wird.

5. Die gesellschaftlich festgelegten Sollwerte individuellen Handelns

Individuelles menschliches Handeln finden im sozialen Kontext statt und wird daher auch von Regelkreisen gesteuert, deren Sollwerte nicht körperintern genetisch gespeichert sind, sondern deren Sollwerte von der Gesellschaft festgelegt werden und vom Individuum erlernt werden müssen. Diese Sollwerte werden in der psychischen Struktur des sogenannten "Über-Ich" (Freud2) gespeichert. Dieses Über-Ich ist ein virtuell abgrenzbarer Teil des Gedächtnisses, das gesellschaftliche Gebote und Verbote speichert. Diese Gebote und Verbote werden dem Menschen nach der Geburt mittels positiver und negativer Rückkopplung vermittelt. Hier kommen wir also auch zu "Regelkreisen" mit positiver Rückkopplung, von der Psychologie (Behaviorismus) auch als positives (bzw. negatives) Feedback bezeichnet. Derartige Rückkopplungsmechanismen wurden übrigens bedeutend später von Technikern aufgegriffen, die daraus die Kybernetik entwickelten (Norbert Wiener9).

Für die gesunde Entwicklung des Kindes sind erfahrungsgemäß positive Rückkopplungen vorteilhafter als negatives Feedback. Die erste positive Rückkopplung erfolgt nach der Geburt, wenn die Mutter dem Säugling die Brudt (oder die Flasche) gibt. Der Säugling erhält nach der Geburt seine Energie und die zum Wachstum erforderliche Materie nicht mehr über die Nabelschnur und betritt nach der Geburt eine ihm völlig unbekannte Welt, was nicht nur Hungergefühl auslöst (s.o.), sondern wohl auch Angstgefühl. Dieses schicksalhafte Geburtstrauma ist nicht nur in der psychoanalytischen Literatur ausgiebig behandelt worden (z.B. Otto Rank10), normalerweise endet es jedoch mit dem ersten Sättigungserlebnis und dem ersten Lustgefühl, also nicht mit einem Trauma, sondern mit positiven Grunderfahrungen, die geeignet sind, Urvertrauen zu schaffen (Erikson11). Hervorzuheben ist hier nicht die Sättigungserfahrung, also die Schließung des oben beschriebenen Regelkreises mit negativer Rückkopplung (negativ bedeutet in derartigen Fällen, dass eine Abweichung von einem Sollwert in entgegengesetzter Richtung gegengesteuert wird, also der Sollwert wieder erreicht wird), sondern die Lusterfahrung, die mit dem Stillen verbunden ist. Der Säugling lernt nämlich durch den Kontakt mit der Brust der Mutter, dass dieses Ankuscheln an ein weiches warmes Objekt ein Wohlgefühl auslöst. Der Körperkontakt mit der Brust löst nämlich die Ausschüttung von Glückshormonen aus, die im Säugling wonniges Gefühl auslösen. Es handelt sich hier also um eine positive Rückkopplung. Eine bestimmte Handlung, die hier zum Kontakt mit der Brust führt, wird belohnt durch Lustgefühl, körperlich erzeugt durch Ausschüttung von Glückshormonen. Am Beginn dieses Rückkopplungsvorgangs steht hier nicht ein körperliches Defizit in Form einer Sollwertabweichung, sondern die Aktivität eines Objekts der Außenwelt, der Mutter (oder des Vaters, wenn dieser die Flasche reicht). Der Kontakt des Gaumens mit der Brustwarze oder dem Schnuller und der Wangenhaut mit der Brust führt zu einem Lustgefühl, wird also positiv zurückgekoppelt (positives Feedback) und damit der Wunsch nach Wiederholung geweckt. Nunmehr kann auch der Säugling aktiv werden und erneut schreien, bis sein Wunsch nach Wiederholung dieses Lustgefühls befriedigt wird. Die Mutter also, die die Bedürfnisse ihres Kindes erkennt und diese befriedigt, verstärkt durch dieses positive Feedback das Verlangen des Säuglings nach weiteren Lusterlebnissen. Dies ist ein "Regelkreis" mit positiver Rückkopplung. Derartige Regelkreise verstärken das Verhalten, das zum Lusterlebnis führt. Sie verstärken also den Wunsch des Kindes nach der Brust. Vermittelt werden sie über eine Ausschüttung von Glückshormonen. Biologisch ist dieser Vorgang dadurch natürlicherweise "geregelt", dass in der Mutter genetisch programmierte Instinkte wirken. Die Mutter, und nicht nur die Menschenmutter, zeigt ein sogenanntes Brutpflegeverhalten. Die Fütterung des Nachwuchses wird dabei durch bestimmte Schlüsselreize ausgelöst. Bein Vogel ist dies der aufgerissene Schnabel des Kükens, beim Menschen die großen Augen  und ebenfalls die saugenden Mundbewegungen des Säuglings. Der Saugreflex des Kindes trifft also auf einen Brutpflegeinstinkt der Mutter. Auf diese Weise erlebt auch die Mutter beim Säugen Glücksgefühle durch den Kontakt ihrer Brustwarzen mit der Mundschleimhaut des Kindes, die ebenfalls durch Ausschüttung von Glückshormonen vermittelt werden. Die positiven Rückkopplungen von Mutter und Kind ergänzen sich also im Idealfall. Es gibt natürlich auch Ausnahmefälle von Kindesvernachlässigung, die dann beim Kind je nach Intensität der negativen Rückkopplung durch Verweigerung der Brust oder Bestrafung des Schreiens durch die Auslösung körperlicher Schmerzen, oder etwa durch Verabreichung von Alkohol oder anderen Substanzen zur Ruhigstellung des Kindes zu mehr oder weniger ausgeprägten psychischen Störungen oder zu körperlicher Schädigung (Kindesmisshandlung) oder zum Tod des Kindes führen.

Das Kind erlebt bereits die Zuwendung der Mutter und des Vaters, deren Lächeln, deren Freude und deren Glücksgefühle als positive Rückkopplung seines Verhaltens und Schweigen, Wegsehen, Nichtbeachtung, natürlich auch körperliche Misshandlung, also Schmerz, als negative Rückkopplung, so dass sein Verhalten durch dieses positive und negative Feedback gesteuert wird. Seine motorischen Fähigkeiten entwickeln sich im Lauf der Zeit und die Reaktion seiner Eltern können diese Entwicklungen verstärken oder durch negative Rückkopplung verlangsamen bzw. in Bahnen lenken, die entwicklungsschädlich sind. 

Ein Beispiel für eine negative Entwicklung sei hier angeführt, nämlich die Sexualisierung des Säuglingsverhaltens durch die Eltern. Versteht der Vater das Verhalten seines männlichen Nachwuchses nämlich fälschlicher Weise als sexuelle Annäherung des Säuglings an die Mutter und droht ihm mit Kastration für den Fall der Fortsetzung, kann dadurch eine neurotische Fehlentwicklung eingeleitet werden. Dies jedoch nicht dadurch, dass der Säugling später seine Sexualität verdrängt, wie Freud meinte ("Ödipuskomplex"), sondern dadurch, dass der kleine Sohn Wutgefühle auf seinen Vater entwickelt, der ihn mit Kastration bedroht. Derartige Drohungen erzeugen den Wunsch, den aggressiven Vater zu beseitigen. Die durch diese väterliche Aggression erzeugten Todeswünsche werden in der Regel ins Unbewusste verdrängt, es bleiben jedoch Schuldgefühle, die im Erwachsenenalter zu Gehemmtheiten und Depressionen führen können. Zum Glück handelt es sich bei diesem sogenannten Ödipuskomplex wohl um eine Zeiterscheinung der Wiener Gesellschaft zu Zeiten Freuds. Heute würde wohl kein liebender Vater auf die Idee kommen, seinem Sohn die Kastration anzudrohen. Schon Freud fand diese Theorie nicht bestätigt und entwickelte daraufhin die Figur der psychischen Realität: die Kastrationsdrohung sei nicht real, sondern eine Vermutung des Sohnes, begründet durch die Wahrnehmung kastrierter Menschen (= Mädchen) und sei damit lediglich eine psychische Realität.

In der Regel werden Entwicklungsfortschritte des Kindes durch die Freude der Eltern über diese Ereignisse (das Kind lächelt irgendwann zurück, es beginnt irgendwann zu laufen usw.) positiv rückgekoppelt und damit verstärkt. Diese positive Rückkopplung wird ebenfalls über hormonelle Konzentrationsverschiebungen körperlich vermittelt. In diesem Fall sind es sogenannte "Glückshormone", die aufgrund der positiven Reaktion der Eltern ausgeschüttet werden und Glücksgefühl vermitteln, dessen Wiederholung natürlich gewünscht wird. Dieser Wunsch nach erneutem Erleben von Glücksgefühlen steuert das Verhalten des Kindes in die gesellschaftlich gewünschte Richtung.

Hierbei sind es auch nicht die Worte der Eltern, die in unterschiedlichen Sprachen andere sind, sondern es sind die affektiven Signale, die die Eltern geben: ihre Freude macht sich in ihrem Blick, in ihrer Mimik und Geistig bemerkbar. Und diese nonverbalen, bewusst gar nicht steuerbaren Reaktionen sind es, die das Kind, das selbst auch gar nicht sprechen also Sprache gar nicht verstehen kann, registriert und als positive Rückkopplung, als Bestätigung, als Anerkennung, erlebt. Der Psychoanalytiker Paul Watzlawick12 hat diese nonverbale Kommunikation erforscht und der Psychiater Luc Ciompi13 hat die Bedeutung dieser affektiven Kommunikation für die Erkenntnisfähigkeit betont (Affektlogik). Gregory Bateson14 hat die Theorie entwickelt, dass widersprüchliche Signale der verbalen und nonverbalen Kommunikation verantwortlich sind für die Entwicklung schizophrener Erkrankungen (double-bind Hypothese). Das gälte jedoch erst für das sprechende Kind. Im Erwachsenenalter ersetzt das Geld diese vorzugsweise affektive Reaktion der Eltern. Gute Bezahlung ist die positive Rückkopplung für ein gesellschaftlich gewünschtes Verhalten und geringe Bezahlung oder Lohnkürzung wird als Bestrafung unerwünschte Verhaltens erlebt.

Das positive Feedback der Behavioristen und die positive Rückkopplung der Kybernetiker sind lediglich zwei Ausdrucksweisen, die, auf menschliches Verhalten angewandt, die Steuerung seines Verhaltens und seiner Entwicklung innerhalb der Gesellschaft erklären. Sie machen den Einfluss der Gesellschaft auf menschliches Verhalten deutlich. Vermittelt wird dieser Einfluss jedoch über einen körperlichen Zwischenschritt, nämlich die hormonelle Vermittlung, in diesem Fall die Ausschüttung von Glückshormonen. Fallbeispiele mag der Leser in seiner eigenen Lebensgeschichte suchen.

6. Der Einsatz negativer Rückkopplung

6.1. Die narzisstische Befriedigung in Schule und Beruf

Bereits in der Schule wird das Verhalten des Individuums durch positive und negative Rückkopplung nach gesellschaftlich anerkannten Vorgaben gesteuert.

Einerseits sind dies Verhaltensrichtlinien. Das Kind soll sich möglichst wenig bewegen, also still sitzen, den Unterricht nicht stören, dem Lehrer/der Lehrerin zuhören und nicht dazwischenreden. Andererseits soll es das, was der Lehrer sagt, glauben, lernen (also im Gedächtnis speichern)und reproduzieren können. Die Reproduktion, die am Ende herauskommt, wird dann belohnt. also mit der Note 1 positiv zurückgekoppelt, oder mit den Noten 2 bis 6 bestraft, also mehr oder weniger negativ zurückgekoppelt. Das gute Verhalten wird nicht benotet und bei der Frage, ob eine Klasse wiederholt werden muss, also ob dem Kind ein Berufsjahr geraubt wird, nicht berücksichtigt. Das das sogenannte "Sitzenbleiben" tatsächlich eine Geldstrafe von einem Jahreslohn am Ende des Berufslebens und eine entsprechende Rentenkürzung beinhaltet, ist dem Schulgremium, das die Noten festlegt, gleichgültig.

Belohnt wird also nicht eigenständiges oder kritisches Denken, sondern die Reproduktion gesellschaftlicher Vereinbarungen. Das beginnt mit der Sprache und der Schriftsprache. Die Rechtschreibung ist eine willkürliche Festlegung, die nach einigen Jahren immer mal wieder geändert wird. Ein Kind, das von 100 Wörtern 90 richtig schreibt, wird nun nicht wegen dieser guten Leistung mit der Note 1 belohnt (90%richtig), sondern wegen 10 Fehlern mit der Note 6 bestraft (siehe Berliner Bewertungsschlüssel, nach dem bereits 1 Fehler mit der Note 2 bestraft werden kann). Der im Vorschulalter von seinen Eltern durch Lob und Anerkennung zum ungezwungen lebenden und frei denkenden Menschen erzogen wurde, wird in der Schule zum Roboter oder Automaten einer Gesellschaft umerzogen, auf ein Berufsleben vorbereitet, in dem er das zu tun hat, was seine Vorgesetzten von ihm verlangen. Diese Robotereigenschaft wird schon in der Schule mit guten Noten belohnt. Im späteren Berufsleben wird sie mit Geld belohnt. Der Arbeitslohn ist die Anerkennung der Gesellschaft, die für das erwünschte Verhalten des Individuums bezahlt wird. Leistet das Individuum mehr des Erwünschten, kann der Lohn gesteigert werden. Mathematisch formuliert ist der Lohn das Äuivalent der Menge und Qualität des erwünschten Verhaltens. Kann das Individuum sich besser qualifizieren, steigt sein Stundenlohn oder seine Vergütung pro Zeiteinheit. Arbeitet er zeitlich länger und produziert somit mehr, steigt die Entlohnung ebenfalls durch Überstundenbezahlung oder Leistungszulagen. Die Freude der Eltern über Entwicklungschritte des Kindes werden ersetzt durch Lohnsteigerungen. Dies ist die positive Rückkopplung eines erwünschten Verhaltens. Diese postitive Rückkopplung ist eine Voraussetzung für die gesunde Entwicklung des Kindes und die Gesundheit des Erwachsenen. Auch der Erwachsene benötigt zur Aufrechterhaltung seiner Gesundheit diese positive Rückkopplung der Gesellschaft, die über eine Ausschüttung von Glückshormonen wirkt. Diese Anerkennung steigert sein Selbstwertgefühl. Die Psychoanalyse nennt dies die narzisstische Befriedigung und spricht vom narzisstischen Befriedigungshaushalt. Dieser narzisstische Befriedigungshaushalt muss ausgeglichen sein und immer wieder ausgeglichen werden durch erneute Bestätigung und Anerkennung. Vermittelt wird diese narzisstische Befriedigung durch die Ausschüttung von Glückshormonen. Das ist beim Erwachsenen nicht anders als beim Säugling (s.o.).

Dieses positive Feedback des erwünschten Verhaltens durch die Gesellschaft hat auf die Gesundheit des Individuums einen erheblichen Einfluss. Dieser positive Einfluss auf die Gesundheit wird allerdings erst dann deutlich, wenn er ausbleibt und sich dadurch die Gesundheit verschlechtert.

Das Ausbleiben der beruflichen Bestätigung kann jedoch durch positive Rückkopplungen auf dem Feld der Beziehungen kompensiert werden. In der Kindheit (Schule) ist dem Menschen die Bestätigung durch den Freund (die Freundin) oftmals und zum Glück wichtiger als die Bestätigung durch den Lehrer (die Lehrerin). Narzisstische Kränkungen durch schlechte Noten können durch Bestätigung der Freunde ausgeglichen werden. In Sport und Spiel ist der schlecht lernende Schüler möglicherweise ein Held. Oder es erfolgt eine Anpassung an eine Gegengesellschaft, die das kriminelle Verhalten des Individuums belohnt. Die narzisstische Bestätigung wird so durch Begehung von Straftaten erlangt. In der Zeit der sexuellen Reifung (Pubertät) und danach hat der schlechte Schüler die Möglichkeit, schulisch ausbleibende Bestätigung durch sexuelle Leistungen und deren Anerkennung zu kompensieren. Er prahlt mit sexuellen Abenteuern und ist auf diesem Gebiet der "King". Sexuelle Betätigung kann auf diese Weise zur Ersatzbefriedigung für ausbleibende schulisch/berufliche Bestätigung werden, so dass der narzisstische Befriedigungshaushalt ausgeglichen bleibt.

Der Mensch benötigt also nicht nur Zufuhr von körperlicher Nahrung, sondern er benötigt zusätzlich seelische Nahrung in Form von Anerkennung und Bestätigung, also in Form narzisstischer Befriedigung.

Die Gesellschaft legt jedoch fest, welche Verhaltensweisen positiv rückgekoppelt, bestätigt werden, und hat damit die Möglichkeit, das Verhalten des Individuum in ihrem Sinn zu steuern.

Vermittelt wird diese narzisstische Befriedigung über die Ausschüttung von Glückshormonen.

Das Individuum passt sich also den gesellschaftlichen Vorgaben oder "Zwängen" deshalb an, weil es narzisstische Befriedigung benötigt, weil ein ausgeglichener narzisstischer Befriedigungshaushalt Voraussetzung für seine Gesundheit ist. Ich spreche hier ausdrücklich von der Gesundheit, denn es gibt nicht seelische und/oder körperliche Gesundheit oder Krankheit, sonder Gesundheit ist immer seelisch/psychisch und körperlich und Krankheit ist stets körperliche und seelisch/psychische Gesundheit. Nicht die Psyche oder der Körper ist gesund oder leidet und wird krank, sondern der Mensch ist gesund oder krank. Dies ist wichtig zu wissen, wenn ich nun die negative Rückkopplung erörtere. Negative Rückkopplung oder negatives Feedback kann nämlich Krankheit bewirken, wenn unnatürliche Verhaltensweisen vom Menschen verlangt werden. Die entscheidende Frage ist nämlich, ob eine Verhaltensweise der menschlichen Natur entspricht.

In meinen Beispielen aus der Kindheit habe ich natürliche Entwicklungsschritte des Kindes erwähnt, die von den Eltern positiv zurückgekoppelt werden. Werden diese negativ zurückgekoppelt, kann sich Krankheit entwickelt. Zeigt das Kind jedoch ein unnatürliches Verhalten, ist es selbstverständlich die Aufgabe der Eltern, dies negativ zurückzukoppeln und damit zu schwächen, anstatt es mit Lob zu verstärken. Diese Frage kann hier nicht abschließend erörtert werden, weil innerhalb einer Interaktion zwischen Eltern und Kind auch negative Verhaltensweisen des Kindes als Reaktion auf unnatürliches Elternverhalten auftreten kann, so dass die Verhaltensänderung dann von den Eltern ausgehen muss. Derartige Fragen behandelt die systemische Therapie, von der die Familie als ein System betrachtet und behandelt wird (z.B. Stierlin15).

Vom Schulkind wird zunächst einmal etwas Unnatürliches verlangt, wenn es still sitzen und nur auf Aufforderung sprechen soll. Verstöße gegen derartige unnatürliche gesellschaftlich verlangte Verhaltensweisen sind eine natürliche und nachvollziehbare Reaktion. Deren Bestrafung kann somit der Ausgangspunkt für eine Entwicklung des Kindes zu Krankheit sein. Die späteren Behandlungskosten sollte daher auch der Verursacher dieser Krankheiten tragen und nicht die Versichertengemeinschaft. Nebenbei bemerkt sind die Folgen nicht nur körperlich/seelische Veränderungen, die als Krankheit definiert werden, sondern es können auch Verhaltensänderungen sein, die als kriminell definiert werden.

So hat die Schule als Vertreterin gesellschaftlicher Ansprüche dem Kind gegenüber eine ganz besondere Verantwortung schon deshalb, weil die Auswirkungen von schädigenden Umständen und Ereignissen, sogenannte Traumata, umso größer sind, je früher sie auf das Individuum einwirken.

In einer besonders kritischen Lage befinden sich nebenbei bemerkt die Kinder von Einwanderern dann, wenn deren Eltern andere gesellschaftliche Ansprüche und Ideologien vertreten als die Vertreter der Schule. Für die Entwicklung eines Kindes ist Konstanz und Zuverlässigkeit wichtig. Trifft die religiöse Ideologie der Eltern mit ihren Inhalten bezüglich der Stellung von Mann und Frau auf gegensätzliche inhaltliche Überzeugungen der Lehrer (Lehrerinnen), hat das Über-Ich Konflikte zur Folge, die zur Schwächung dieser steuernden psychischen Instanz des Menschen führen. Die Verhaltenssteuerung wird dann mehr vom Es, von den "Trieben" übernommen, weil das Über-Ich keine zuverlässige Richtschnur gibt.

6.2. Die Wirkungen der Arbeitswelt

Der Mensch ist innerhalb menschlicher Gemeinschaft zum Menschen geworden und ist nicht nur Individuum, sondern gleichzeitig Teil der menschlichen Gemeinschaft. Seine Begriffe, seine Sprache und sein Denken haben sich innerhalb einer Gemeinschaft gebildet, sind also kultureller Besitz und nicht Privatbesitz. Die Verwendung von Sprache zum Denken anstelle des Denkens in optischen Filmen oder anderen Wahrnehmungen ist die erste und schicksalhafte Unterwerfung des Individuums unter die Ansprüche der Gesellschaft. Die ursprüngliche affektive Kommunikation wird durch die sprachliche ergänzt. Sprache hat sich evolutionär durchgesetzt, weil sie eine bessere Verhaltenskoordinierung der Individuen einer Gruppe erlaubt, was zum Jagen und im Kampf mit konkurrierenden Clans oder Horden Vorteile hat. Evolution hat also sprachbegabte Wesen selektiert, Sprache hat einen selektiver Vorteil, einen Überlebensvorteil. Ein weiterer Überlebensvorteil ist die Arbeit, nämlich die Herstellung von Werzeugen und Waffen, die Feldarbeit (Ackerbau) und die Viehzucht. Diese Tätigkeiten, die die Menschwerdung charakterisieren, sind mit Arbeit verbunden, mit Spezialisierung einzelner Individuen auf bestimmte Tätigkeiten, deren Ergebnis der Gemeinschaft Vorteile verschaffen, weil die produzierten Werkzeuge und Hilfsmittel von allen Mitgliedern der Gemeinschaft benutzt werden können. Im Gegenzug zu der Reduzierung der Handlungsmöglichkeiten auf eine Tätigkeit, in der besondere Fertigkeiten erworben wurden, bekam das Individuum Geld, um damit die Arbeitsergebnisse anderer Gemeinschaftsmitglieder tauschen zu können. Der Mensch ist also durch seine Tätigkeit für die Gemeinschaft zum Menschen geworden und bezieht aus einer solchen Tätigkeit zum Nutzen der Gemeinschaft auch heute noch seine narzisstische Befriedigung. Diese ist umso größer, je mehr Geld er für diese Tätigkeit erhält, so dass der Arbeitslohn das Äquivalent des Wertes des Individuum für seine Gemeinschaft darstellt. Je höher die Entlohnung, desto größer der Wert des Individuums für die Gemeinschaft. Und desto größer natürlich auch das Selbstwertgefühl des Individuums, das er aus seiner Berufstätigkeit bezieht. Je besser (schwieriger, einzigartiger) die Arbeit, je höher deren Entlohnung und desto mehr narzisstische Befriedigung.

Aus dieser einfachen Formel lassen sich die Folgen ablesen, die für die Gesundheit des Individuums eintreten, wenn ihn Änderungen des Berufslebens treffen.

Allein das Innehaben eines Arbeitsplatzes lefert bereits über die Ausschüttung von Glückshormonen narzisstische Zufuhr und trägt zur Gesundheit bei. Wichtig ist jedoch auch, ob die Bezahlung auch der Bedeutung der Tätigkeit angemessen ist. Ist die Bezahlung zu gering, wird sie zur Kränkung. Die gesellschaftliche Bedeutung einer Arbeit muss im Verhältnis zum Lohn stehen.

Bekommt ein anderer Arbeiter, der die gleiche Tätigkeit ausübt, einen höheren Lohn, wird die Lohnzahlung zum Kränkungserlebnis.

Bekommt ein Nichtarbeiter von der Gemeinschaft monatlich mehr Geldunterstützung als ein regelmäßig arbeitender Mensch, ist das für diesen Arbeitenden eine Kränkung. Die Gesellschaft hat also durch ihre Regeln, nach denen sie Geld, Lohn, Bezüge, Zulagen oder Unterstützungen bezahlt, die Möglichkeit, ganze Berufsgruppen, ja sogar ein Geschlecht (ich denke an die Diskriminierung der Frauen), ja sogar den gesamten arbeitenden Bevölkerungsanteil zu kränken und damit gesundheitlich zu schädigen, wenn der Einzelne nicht über andere Möglichkeiten verfügt, sich narzisstische Befriedigung zu verschaffen. Andererseits sind Lohnerhöhungen, Gehaltssteigerungen usw. nicht nur finanzielle Verbesserungen, sondern auch gesundheitsfördernd, weil sie mit narzisstischer Zufuhr verbunden sind, falls sie gerechtfertigt sind. Letztere Einschränkung ist von großer Bedeutung, weil der gesunde Mensch einen angeborenen Sinn für Gerechtigkeit hat. Das ist natürlich ein Problem, weil dieser Gerechtigkeitssinn nicht bei allen Menschen gleich ausgeprägt ist und Unterschiede aufweist. So kann eine allgemeine Tariferhöhung nicht für alle Arbeitnehmer gleich gerecht sein. Ungerecht ist jedoch dennoch, wenn dies zu ungleicher Bezahlung gleicher Arbeit führt, weil diese Bezahlung in manchen Betrieben nicht übernommen wird. Die benachteiligten Arbeitnehmer sind narzisstisch gekränkt, was sich nicht nur auf ihre Leistung auswirkt, die sie dann reduzieren um Gerechtigkeit herzustellen, sondern auch krank machen kann. Ebenso kann eine Überbezahlung zu gesundheitlicher Schädigung führen. Der Gerechtigkeitssinn führt in derartigen Fällen zu einem schlechten Gewissen und Depression. Hier hat die Ausschüttung von Serotonin eine besondere Bedeutung als Vermittler zwischen äußerem Ereignis und seinen psychischen Repräsentanzen (s.o.). Der Nichtpsychiater möge über diese Zusammenhänge lächeln, weil er möglicherweise abgebrüht ist und auf derartige ungerechtfertigete Bereicherung psychisch nicht mehr reagiert, der durchschnittsgesunde Mensch hat jedoch ein Gespühr für Gerechtigkeit und der Psychiater kennt Krankheitsfälle, bei denen eine Erbschaft zur Auslösung schwerer Depression führt, weil der Betreffende an einem übertriebenen Sinn für Gerechtigkeit leidet, der biochemische Ursachen hat und auch entsprechend behandelbar ist.

6.3. Das Rechtssystem

Die negative Rückkopplung erfolgt durch Erzeugung von Schmerz und Angst durch die Erziehungspersonen und später durch die Gesellschaft.

Schmerz ist ein körperliches Signal, das eine Schädigung des lebenden Körpers anzeigt, er ist eine Warnsignal, bei dessen Missachtung auch der Tod eintreten kann. Schmerz ist also ein biologischer Schutzmechanismus und löst Fluchtverhalten aus. Das Verbrennen oder starke Erhitzen eines Fingers (s.o.) wird als Vorstufe des Verbrennens des gesamten Körpers betrachtet und wird vom Körper mit Schmerz und Flucht beantwortet. Der katholischen Kirche ist dies natürlich sehr bewusst, deshalb hat sie dieses Mittel angewandt, um die Wahrheit zu erforschen und den Teufel aus dem Körper zu vertreiben (Inquisition). Aus heutiger Sicht ist die Verknüpfung von Schmerzzufügung und körperlicher Verstümmelung oder Verbrennung des Körpers mit dem Glauben an die Vertreibung des Teufels ein Irrtum, den die Kirche bisweilen auch eingesteht. Es ist jedoch noch keine verstümmelte oder verbrannte Fau von der Kirche als Heilige anerkannt worden und noch kein folternder Priester oder dessen Befehlsgeber, der Papst, offiziell als Teufel anerkannt worden. Folter, körperliche Verstümmelung und Todesstrafe waren im Mittelalter und sind es auch heute beispielsweise in den USA Justizmittel, um das Verhalten von Menschen in die gesellschaftlich gewünschte Richtung zu lenken. In Deutschland ist die körperliche Verstümmelung und die Todesstrafe im Strafrecht seit einiger Zeit verboten und durch Freiheitsstrafen und Geldstrafen ersetzt worden. Unerwünschtes Verhalten wird nicht mehr nach dem jüdischen Prinzip "Auge um Auge" bestraft, das also der Verlust eines Auges durch Gewalteinwirkung mit dem Ausstechen eines Auges des Täters, der Diebstahl mit Handabhacken und der Mord durch Einschlagen des Schädels mit dem Einschlagen des Schädels des Täters. Dieses natürliche Gerechtigkeitsempfinden der Menschen befriedigt die Justiz nicht, bezüglich des Todesurteils vor allem deshalb, weil sie sich des Justizirrtums bewusst ist und das Gewissen der Richter im Falle eines Irrtums damit schont. Unsere Justiz baut auf das Geständnis des Täters und erforscht seine Motive, in meinem Sinn seine Anregungen (s.o.), und betrachtet sein Geständnis als Beginn einer erwünschten Verhaltensänderung, die ja nur lebend vollzogen werden kann.

Voraussetzung für eine Bestrafung mit Geld- oder Freiheitsstrafen ist allerdings, dass die Tat vorher definiert wurde und ein Strafrahmen festgelegt wurde. Das nicht erwünschte Verhalten ist also im Zivilrecht und Strafrecht möglichst genau definiert, und die Bestrafung stellt such heute die negative Rückkopplung eines unerwünschten Verhaltens dar. Im Verwaltungsrecht ist dies anders. Hier werden eventuell staatliche Entscheidungen aufgehoben, die Täter, also die Personen, die derartige Fehlentscheidungen getroffen haben, bleiben unbestraft. Den angerichteten Schaden trägt die Gesellschaft. Auch im Strafrecht wird kein Schaden beglichen (es sei denn, in einem Adhäsionsverfahren). Das zum Krüppel geschlagene Opfer kann zwar zusätzlich einen Zivilprozess anstrengen, niemand kann jedoch den Täter zum Arbeiten, also zum legalen Gelderwerb, verurteilen, so dass derartige Klagen aufgrund unserer Gesetze ins Leere laufen. Nach meiner beruflichen Erfahrung ist dies besonders in Fällen unterlassener Unterhaltszahlungen aber auch bei Opfern körperlicher Gewaltanwendung der Fall. Es sollte einmal eine Statistik darüber veröffentlicht werden, wie hoch der Prozentsatz von Verurteilten unter den Empfängern von Sozialhilfe ist, die im Falle einer Arbeitsaufnahme mit Lohnpfändungen zu rechnen haben. Der Staat vermischt diese Gruppe mit anderen, zum Beispiel mit denjenigen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, weil die Leitung des Betriebes schlecht gearbeitet hat.

Ich erwähnte bereits den angeborenen Sinn des durchschnittsgesunden Menschen für Gerechtigkeit. Dieser ist primär und seine Niederschrift in biblischen Vorschriften oder weltlichen Gesetzen ist lediglich das Kondensat dieses angeborenen Gerechtigkeitsempfindens. Die biblische Niederschrift appelliert lediglich an das Individuum, nennt jedoch keine Strafen im Diesseits. Die Rechtssysteme wären sinnlos, gäbe es nicht auch eine vollstreckende Gewalt. Legislative, Judikative und Exekutive sind die drei staatlichen Gewalten, die nicht nur an den Menschen appellieren und Verhaltensvorschriften in die Psyche (ins Über-Ich) implantieren, sondern gemeinschaftsschädliche Verhaltensweisen der Menschen benennen, im Einzelfall Rechtsbrüche feststellen und eine Sanktion festlegen, die eine negative Rückkopplung des unerwünschten Verhaltens darstellen. Eine Bestrafung stellt eine narzisstische Kränkung dar, einen psychischen Schmerz. Zufügung körperlicher Schmerzen ist in unserer Gesellschaft obsolet (verboten). Die Bestrafung besteht einerseits im Freiheitsentzug, der das Individuum an seiner beruflichen Entfaltung, am Geldverdienen hindert, und natürlich auch seine gesellschaftlichen Bezüge, seine Kontakte behindert und auf diese Weise auf beiden Bereichen, nämlich dem beruflichen Feld und dem Bereich der Beziehungen zu Kränkungen führt, also die Zufuhr narzisstischer Befriedigung einschränkt, abgesehen von der Einschränkung der Bewegungsfreiheit ein Unlusterlebnis ist. Andererseits ist die Geldstrafe vorgesehen. Wie in Zusammenhang mit der Erörterung des Berufslebens bereits erwähnt, ist Geld das Äquivalent narzisstischer Befriedigungszufuhr und sein Entzug hat ebenfalls narzisstische Kränkung zur Folge. Das Recht ist also auch eingebettet in Regelkreise, die menschliches Verhalten steuern.

7. Ergebnis

Zufuhr narzisstischer Befriedigung stabilisiert die Gesundheit des Individuums und narzisstische Kränkungserlebnisse können zu Krankheit führen. Diese ärztliche Einsicht kann auf gesellschaftliche Vorgänge angewendet werden, was bei der Erziehung und der Schule beginnt, im Berufsleben Bedeutung hat und auch im Recht praktiziert wird. Das sollte bedacht werden, wenn staatliche Maßnahmen und Eingriffe durchgeführt werden, die Auswirkungen auf den Geldbeutel des Individuums haben. Gesundheit ist seelisches, körperliches und gesellschaftliches Wohlbefinden und wird dementsprechend nicht nur durch Krankheitskeime (Bakterien) beeinträchtigt, sondern auch durch Maßnahmen, die Auswirkungen auf das Einkommen der Menschen haben.

Thomas Gabbert

Copyright Thomas Gabbert.
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